Warum suchen Menschen Naturlandschaften auf, gehen in Stadtparks, wünschen sich einen Garten, bepflanzen ihren Balkon oder stellen Pflanzen in ihre Wohnräume? Lebendiges Grün wird offensichtlich hoch geschätzt. Aber woher kommt diese Phytophilie – zu Deutsch Pflanzenliebhaberei?
Betrachtet man die Alltagssituation der meisten Menschen in der westlichen Welt, drängt sich als Erklärungsansatz auf, dass wir uns mit Pflanzen ein Bedürfnis erfüllen. Rund 90 Prozent unserer Lebenszeit verbringen wir jenseits der Natur – also holen wir sie uns in die Gebäude. Es gibt allerdings noch weitergehende Gründe: Die Natur enthält lebenswichtige Ressourcen, Naturräume bzw. Pflanzen erhöhen das Anregungspotenzial gebauter Umwelt und nicht zuletzt ermöglicht und fördert Natur Stressabbau und Erholung.
Ganz theoretisch
„An Theorien zur Erklärung der Wertschätzung grüner Umwelten gibt es keinen Mangel“, erläutert Diplom-Psychologin Dr. Antje Flade, die sich vor allem mit Wohn-, Stadt- und Mobilitätsforschung beschäftigt.
Die Evolutionstheorie nimmt an, dass unsere Vorliebe für Grün stammesgeschichtliche Wurzeln hat. Demnach steht dahinter die uralte Menschheitserfahrung, dass Grün existenzsichernd ist und genau deshalb finden wir eine solche Umgebung schön.
Anders die Ästhetiktheorie: Der Mensch empfindet etwas als schön, wenn es einen bestimmten Grad an Komplexität aufweist. Zu viel Komplexität führt zu Reizüberflutung und Verunsicherung, zu wenig zu Langeweile. Die Komplexität von natürlichen Umwelten – die man allerdings in unseren Wohnungen erst durch Blick auf Pflanzen erreicht – ist optimal: Pflanzen sind unregelmäßig, einfache, geometrische Formen kommen nicht vor, sie verändern sich im Laufe der Zeit und sie sind sehr vielfältig.
Eine Aufmerksamkeitserholungstheorie besagt, dass die gesteuerte Aufmerksamkeit, wie man sie beispielsweise an einem Computerarbeitsplatz benötigt, zu Ermüdung führt. Dagegen ist die anstrengungslose und unwillkürliche Aufmerksamkeit, die man einer Naturlandschaft oder einer Bepflanzung gegenüber zeigt, erholend. „Umwelten, die ´Erholung für den Geist` ermöglichen sollen, sind deshalb so zu gestalten, dass sie die unwillkürliche Aufmerksamkeit wecken und den Betrachter faszinieren. Zimmerpflanzen am Arbeitsplatz eignen sich dazu“, so Flade.
„Noch weiter geht die Mehrfaktorentheorie, die neben der Faszination als zentralen Wirkungsmechanismus das Gefühl des ´being away`, das Erleben von Weite und das Gefühl, mit der Umwelt in Einklang zu sein als wesentliche Faktoren der Erholungswirkung von Pflanzen angibt.“ Dabei muss man gar nicht wirklich weit weg sein, so genannte Kontrast-Umwelten können auch in räumlicher Nähe liegen. Flade: „Zu vermuten ist, dass auch Pflanzen in Innenräumen einen solchen Kontrast erzeugen können.“
Erholung und Wohlbefinden
Alle Theorien bestätigen, was in zahlreichen empirischen Studien belegt ist: Der Ausblick auf Natur und der Aufenthalt im Grünen fördern die Erholung und das Wohlbefinden. Auch Flade betont, wie bedeutungsvoll lebendiges Grün in den Lebensbereichen Wohnen, Arbeiten und Erholen ist und stellt zusammenfassend fest:
- Die Erscheinungsformen von Natur sind vielfältig.
- Natur manifestiert sich nicht nur in nicht-flexiblen Elementen wie Bäumen und Parks, sondern auch in individuell handhabbaren Elementen wie Blumen auf dem Balkon oder dem Blumenstrauß auf dem Tisch.
- Die positive Wirkung von Pflanzen erstreckt sich über die Wohnumwelt hinaus.
- In der Arbeitswelt kann Stress besser abgebaut werden, wenn Grün im Blickfeld ist.
- Die emotional und neurophysiologisch positiven Wirkungen von Natur könnten als Therapiefaktor in Wartezimmern, Therapieräumen, Krankenhäusern und Klinikgärten eingesetzt werden.
Das Fazit der Psychologin ist damit eindeutig: Mit Pflanzen ist das Leben besser!