„Die Grenzen zwischen Kultur und Natur verschwimmen, wenn es um Orchideen geht”, schreibt Noemi Harnickell in ihrem neuen Buch „Verstörend betörend”. Die Journalistin, die sonst u.a. für ‚Die Zeit‘ und das Online-Magazin ‚Republik‘ arbeitet, nähert sich in dem Werk aus sehr unterschiedlichen Blickrichtungen einer Pflanzengattung an, die uns Menschen schon immer fasziniert hat.
Die Vielfalt bei Orchideen ist erstaunlich: Bei manchen sind die Blüten so klein, dass man sie nur durch ein Mikroskop erkennen kann, während andere handflächengroß werden. Orchideen wachsen auf Bäumen, Felsen oder unter der Erde, können jede erdenkliche Farbe und Form haben und nach Schokolade, Apfelstrudel oder nach Aas duften. Insgesamt gibt es ungefähr so viele Orchideenarten wie alle Vogel-, Säugetier- und Reptilienarten zusammen. Nicht mitgezählt sind tausende weitere Arten, die noch nicht entdeckt wurden oder ausgestorben sind, bevor jemand die Gelegenheit hatte, sie zu beschreiben. Dazu kommen etwa hunderttausend Hybriden, die durch Kreuzungen entstanden sind.
Harnickell begann sich 2020 für die Pflanzen zu interessieren. Damals lebte sie in Reutlingen und entdeckte dort in den Fenstern der gepflegten Ein- und Mehrfamilienhäuser immer wieder Schmetterlingsorchideen. Ins Grübeln kam die Journalistin, als sie die Topfpflanze auch in der Shisha-Lounge schräg gegenüber ihrer Wohnung sah. „Was mich erstaunte, war keineswegs, dass die Blume nicht zu der Bar passte, sondern im Gegenteil, dass sie es tat!”, so die Autorin. „Die Orchidee bildete eine Schnittstelle zwischen den alteingesessenen Schwaben mit ihrer Kehrwoche und penibel gestutzten Gartenhecken und den Besuchern dieser leicht verrauchten dunklen Bar, die erst zum Leben erwachte, wenn die Lichter in den anderen Häusern bereits ausgegangen waren.”
Mit dieser Entdeckung machte sich Harnickell auf, die wundersame Welt der Orchideen zu erforschen. So besuchte sie beispielsweise Massenproduktionsstätten in den Niederlanden, untersuchte die Rolle der Blume in der Literatur und sprach mit Sammlern – ja, zumeist sind das tatsächlich Männer. Ihr Buch zeigt, dass Orchideen heute ein fester Bestandteil unserer Kultur geworden sind, dabei zum Teil ihren Glamour-Faktor eingebüßt haben, aber immer verstörend betörend bleiben.